Abacá – ein Material auf Reisen

Abacá – ein Material auf Reisen

Dass man aus Papier – genauer: aus Washi –  ganz wunderbar Schuhe machen kann, ist in der globalen Wildling Community natürlich schon lange kein Geheimnis mehr. Hinter dem japanischen Seidenpapier verbirgt sich aber auch die Materialquelle Abacá und mit ihr spannende Entwicklungen in der Lieferkette bei Wildling. 

Man begegnet sich ja immer zweimal im Leben. Und manchmal passiert das auf besonders erstaunliche Art und Weise. In ihren Zwanzigern verbrachte Wildling Gründerin Anna für ein Praktikum einige Zeit in Ecuador. Dort lernte sie Bolier kennen, der damals im Umweltministerium arbeitete. Den Kontakt hielten sie über Jahre hinweg, während Anna in der Zwischenzeit gemeinsam mit ihrem Partner Ran Wildling gründete, Bolier Professor für Waldökologie* an der Universidad Estatal Amazónica wurde, Anna und Ran mit Mr. Itoi vom japanischen Hersteller Itoitex für die Produktion der legendären Tanukis aus seinem patentiertem Washi in Verbindung traten und – das Rohmaterial dafür, nämlich Fasern der Abacá-Pflanze, aus Ecuador zu beziehen begannen. Man ahnt es bereits: Die Geschichte hinter Abacá und Washi ist eine Geschichte über langfristige Beziehungen – und diese vier Menschen spielen gemeinsam mit vielen anderen Persönlichkeiten wichtige Rollen dabei. Aber lasst uns von vorne beginnen.


Wie Abacá entsteht …

Washi ist ein Material, das es nicht als Rohstoff gibt. Es wird aus Pflanzenfasern gewonnen – bei unserem speziellen Wildling Washi handelt es sich um die Abacá-Pflanze, die unter anderem in Ecuador wächst. Um das Material für Schuhe haltbar genug zu machen, wird dem Abacá (Anteil: 75%) zu einem Viertel Polyester beigemischt. Im Groben kann man den Herstellungsprozess so zusammenfassen: Vom Stamm der Pflanze werden die ihn umgebenden Blattscheiden entfernt und dann mit dem Schiff nach Japan geschickt – dem Ort, wo Washi erfunden wurde und bis heute hergestellt wird. Aus der getrockneten Faser wird Papier gemacht. Dieses Papier wird in feine Streifen geschnitten und um einen Polyesterkern verdreht. So entsteht das Garn, das Mr. Itoi erfunden hat – und daraus wird der Stoff für die Produktion der Washi beinhaltenden Wildlinge in Portugal gewebt.

Ein Tanuki Niji von der Seite. Der Lichteinfall im Bild erzeugt Schatten und betont die Struktur des Obermaterials aus Washi.

Foto: Cherie Birkner, Modell: Tanuki Niji


… und was damit zusammenhängt

Ein wichtiger Teil der Arbeit bei Wildling ist es, unsere Lieferketten stückweise transparent zu machen und Potenziale für mehr Nachhaltigkeit und Regeneration zu finden. Wir haben Zertifikate, die den biologischen Anbau der Rohmaterialien bescheinigen, erklären Anna und Ran. Aber da die Sozialstandards nicht explizit mit abgedeckt sind, haben wir in Ecuador nachgefragt.“ Weil sich allerdings kein direkter Kontakt zum Anbau knüpfen ließ, war Wildling hier auf die Weitergabe von Informationen durch die verschiedenen Verarbeitungsstufen angewiesen – und da Abacá Teil eines riesigen Papiermarktes ist, bei dem es um weit größere Mengen als für Wildling nötig geht, war die Beantwortung unserer Nachfrage auch nicht gerade oben auf der Prioritätenliste. Die Zeichen standen also nicht gerade auf Transparenz, was die Arbeitsbedingungen der Farmer:innen in Ecuador anging. Zudem ist es auch harte körperliche Arbeit, die Abacá-Pflanzen zu bearbeiten – umso wichtiger war es, hier dranzubleiben. An dieser Stelle kam Annas alter Freund Bolier ins Spiel. Durch seine Nachforschungen konnte herausgefunden werden, dass die Sozialstandards in den Abacá-Plantagen strukturell problematisch sind. Aber Bolier hatte direkt eine Idee, wie sich der Anbau perspektivisch auf neue regenerative Füße stellen lassen könnte.


Ein neuer Anpack 

Sein Vorschlag: ein eigenes, experimentelles Projekt ins Leben rufen, um 100% Transparenz und faire Arbeitsbedingungen zu erreichen. Aber wie genau? Dafür ist der Wildling Wert der radikalen Zusammenarbeit so wichtig. So wurde ein großes Projekt aufgestellt, dessen Koordinator:innen sich bereits im Juli 2021 für ein Auftaktgespräch trafen. Seither geht es darum, die für die Realisierung benötigten Stakeholder zu finden und zusammenzuführen – und dabei flexibel zu bleiben.

Eine Person hält einen zusammengerollten schwarzen Schuh aus Washi.

Foto: Nora Tabel | Wildling Shoes, Modell: Pamir

Die erste Idee war, den Anbau und die Ernte der Pflanzen selbst steuern – mit indigenen Gemeinden, in traditionellen Chakra-Agroforstsystemen und in Verarbeitungsbetrieben in kollektivem Besitz, die die körperliche Arbeit erleichtern würden, erklärt Anna. Chakra-Systeme basieren unter anderem darauf, keine Monokulturen anzupflanzen und dienen dazu, die Communities beim Überleben in der Region zu stärken – auch vor aktuellen Herausforderungen wie dem Klimawandel. Um das zu ermöglichen, sind viele Absprachen und Recherchen notwendig. Bolier und sein Kollege Marco haben sich vor Ort dieser Aufgabe angenommen. Ein Teil der Wildling Taskforce wird im Spätsommer 2022 persönlich nach Ecuador reisen, um vor Ort zu prüfen, welche Möglichkeiten konkret in Frage kommen. „Wir sind uns bewusst, dass es ein Langstreckenflug ist“, sagt Anna. „Aber die Verbesserung der Lieferkette ist einfach zu wichtig.“ Alles muss bei diesem großen Projekt passen – und von Wildling auf die Erfüllung der eigenen Werte und regenerativen Verpflichtungen hin geprüft werden.

Transkontinental geht die Arbeit an dem Projekt auch in Japan weiter: In der Zwischenzeit experimentiert Mr. Itoi mit neuen Faserqualitäten. In Zusammenarbeit mit dem Wildling Produktteam soll dafür gesorgt werden, dass der noch vorhandene Anteil an Polyester bestenfalls durch biologisch abbaubare Alternativen ersetzt werden kann (und dass noch mehr Wildling Minimalschuhe aus Washi produziert werden können – Spoiler: Schau mal in den Shop!). Das sind alles wichtige Schritte, um in Zukunft eine faire Supply Chain auf allen Ebenen sicherzustellen. Es wird also noch viel passieren. Vom nächsten Meilenstein, dem Wildling Besuch in Ecuador, werden wir euch berichten! 

 

*Waldökologie, Lebensbedingungen, Bioökonomie und Kohlenstoffspeicherung durch Landnutzung


Headerfoto: Nora Tabel | Wildling Shoes, Modell: Tanuki Niji